Tim Holzapfel: Vom Nobody zum Vorbild
  04.07.2022 •     WLV , Top-News WLV , BW-Leichtathletik , Top-News BW-Leichtathletik , Leistungssport


800 Meter-Läufer Tim Holzapfel (Unterländer LG) aus der Pliezhäuser LV-Trainingsgruppe stellt in Berlin die Hierarchie auf den Kopf. Zwei Trainingskolleginnen fahren spontan in die Bundeshauptstadt. Siegesfeier mit Sekt und Pizza auf der Kunststoffbahn. Der 25-Jährige widmet seinen Titel dem verstorbenen Urgestein Gustav Jenne vom TV Flein.

Dranbleiben, Durchhalten – ist die Devise des 800 Meter-Läufers Tim Holzapfel von der Unterländer LG. Der 25-jährige Heilbronner war die größte Sensation der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Berliner Olympiastadion. 110 Meter vor dem Ziel spurtete Holzapfel am haushohen Favoriten Marc Reuther vorbei, dachte, der müsse doch bald kommen. Reuther ist dreifacher deutscher Meister, hat eine Bestzeit von 1:44,71 Minuten, fünf Sekunden schneller als der Schwabe.

Erst zwei Meter vor der Ziellinie reißt Holzapfel die Arme hoch. „Deutscher Meister, das ist alles surreal, das passt noch immer nicht in meine reale Welt“, sagt er noch Tage später bei der Meisterschaftsfeier im Pliezhäuser Schönbuchstadion. Seine komplette Trainingsgruppe vom LV Pliezhausen ist da, 16 Leute. „Ein Toast auf den Sensationssieger“ heißt es da. „Tim, du bist eine Riesenbereicherung für unsere Gruppe,“ sagt Trainer Thomas Jeggle. Und Holzapfel selber retouniert, mit dem Sektglas und der Goldmedaille  in der Hand: „Ich danke euch für den tollen Rückhalt“.  

Den großen Zusammenhalt in der Trainingsgruppe unterstreicht eine Randnotiz. Als Holzapfel in Berlin, gerade mal mit der zwölftschnellsten angereist, die zeitschnellte Vorlaufzeit hingelegt hatte, trainierten Julia Rieger und Michaela Weiss auf der heimischen Bahn in Pliezhausen. Sie hatten das Handy auf der Ziellinie abgelegt und schauten sich das Video an. „Wir müssen zum Finale nach Berlin“, lautetet der spontane Entschluss. Am Sonntagmorgen steigen sie um halb fünf in Stuttgart in den Zug und stehen am Nachmittag mit einem Transparent („Go Tim“) als Edelfans auf der Tribüne.

„Das hätte ich nicht mal zu träumen gewagt“, schilderte der Mittelstreckler seine Gefühle. „Als Kind hast du immer davon geträumt, im Fernsehen zu kommen“, beschreibt er seinen plötzlichen Aufstieg, „und dann das“: ZDF-Interview gleich hinter der Ziellinie, ARD-Hörfunk-Interview, zwei weitere Begierden von leichtathletik.de und einem Privat-TV. Mit 1:49,25 Minuten hatte Holzapfel seine Bestzeit um sieben Zehntel verbessert. Doch das dürfte noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. „Eine Zeit um 1:46 Minuten muss eine realistische Perspektive sein“ sagt Trainer Jeggle.

Mit vier Jahren war Holzapfel über das Kinderleichtathletik-Programm des Württembergischen Leichtathletik-Verbands eingestiegen. Mit 17 wurde es ernst. Beim Coopertest (Zwölf-Minuten-Dauerlauf) in der Schule hatte er lediglich eine zwei minus bekommen. „Das wollte ich so nicht stehen lassen. Training beim TV Flein (bei Heilbronn) unter Martina und Harald Ehlke, dem ehemaligen 2,21 Meter-Springer der TG Heilbronn, folgten.

Eine Zufallsbegegnung am Rande der Landesmeisterschaften 2021 in Walddorf spülte Holzapfel in die Trainingsgruppe beim LV Pliezhausen. Das war für den Studenten an der Fachhochschule Reutlingen ein Glücksfall. Doch die Saisonvorbereitung war mehr als holprig. Einer Coronainfektion folgte, ein mehrwöchiges Praktikum in Südafrika zudem.

Tim Holzapfel ist auch nach dem Coup von Berlin am Boden geblieben. Er widmet seinen Titel einem Mann, der in Heilbronn und Württemberg tiefe Spuren hinterlassen hat. „Ohne Gustav Jenne hätte es den TV Flein und mich so nicht gegeben“, gedenkt er dem Leichtathletik-Pionier. Wenn dieser von Holzapfels Titelgewinn erfährt, wird der ehemalige Weinliebhaber in seinem Reich ein Viertele Württemberger auf ihn trinken. Er habe kurz vor dem Start noch überlegt, Jennes Namen auf seine Startnummer zu schreiben, sagt Holzapfel.      

Rund 200 Mails und Nachrichten hat er seither bekommen: Familie, Trainingskollegen, Landestrainer, von der Uni, sogar Professoren haben sich gemeldet und selbst aus Südafrika kamen Glückwünsche. Nächste Haltestelle: Landsmeisterschaft, Frankenstadion Heilbronn, seiner zweiten sportlichen Heimat. „Auf den müssen wir schauen, der ist doch Deutscher Meister“ wird es da heißen. Erfolge verändern den Blickwinkel. Tim Holzapfel hat viel dafür getan. Mit Talent, Trainingsfleiß und Durchhaltewillen. So schnell kann man vom Nobody zum Vorbild werden.