WLV Nikolauslehrgang Kinder & Entwicklung: Vom Konzept zum Rezept
  05.12.2017 •     WLV , Bildung


Am Samstag jährte sich zum nunmehr 45. Mal der Nikolauslehrgang des Württembergischen Leichtathletik-Verbands (WLV). Unter dem Motto „Vom Konzept zum Rezept“ versammelten sich rund 120 Leichtathletikbegeisterte in der frisch renovierten Großsporthalle Schwäbisch Gmünd.

Nach einer kurzen Begrüßung eröffnete Fred Eberle, Vizepräsident und Lehrwart des WLV, den Lehrgang, der dieses Jahr ein neues Logo und den Zusatz "Kinder & Entwicklung" erhielt, mit einem Impulsreferat. In diesem betonte er zunächst, dass die Leichtathletik "einen unverzichtbaren Beitrag zur körperlichen, geistigen, sozialen und auch emotionalen Entwicklung des Menschen" leiste. Gleich zu Beginn stellte er außerdem klar, dass es sich bei den Konzepten, beispielsweise dem vor Kurzem veröffentlichten neuen Grundlagentrainingsplan des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), keinesfalls um strikte Handlungsanweisungen, sondern um Orientierungshilfen handle, die als Anregungen für das Training der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten fungieren. Anschließend hob er die steigende Wertigkeit der Koordination hervor, bezeichnete sie als "Basis allen leichtathletischen Tuns" und unterstrich ihre sportartübergreifende Wichtigkeit. Die Kinderleichtathletik stehe heutzutage vor einer besonderen Aufgabe, da sie die Ausbildung koordinativer Fähigkeiten, die die Kinder früher durch häufigere freizeitliche Aktivitäten im Freien deutlich leichter erlernten, fördern solle. Die Intention des neuen Rahmentrainingsplans "Grundlagentraining" des DLV ist es, eine Brücke für den Übergang zwischen der Kinder- und Jugendleichtathletik darzustellen. Fred Eberle, der eingangs vom Vorsitzenden des Sportkreises Ostalb Manfred Pawlita als "Nikolaus der Kinderathletik" betitelt wurde, weiß: "Der grundlegende Technikerwerb und die grundlegenden koordinativen Fähigkeiten werden im Grundlagentraining gefördert." Doch auch pädagogische Elemente, die für jegliches Training erforderlich sind, wurden im neuen Trainingsplan berücksichtigt: "Wir müssen uns klar sein, dass wir alle, die als Übungsleiter tätig sind, immer pädagogisch wirken. Wir motivieren, regen an, machen Pläne und entwickeln Neues."

Daraufhin referierten Jutta Bryxi und Carl-Michael Bundschuh aus dem Lehrteam des Leichtathletikkreises Ostalb über den Begriff "Körperkonzept". Ausgehend vom Autor Jürgen Bielefeld, der die Wichtigkeit der Erfahrungen, die ein Kind mit seinem Körper macht, betonte, sehen die beiden Redner den Körper als Mittler zwischen der Innen- und Außenwelt: "Der Körper ist wie ein Schwamm, der alles aufnimmt. Und dementsprechend ist das, was ein Kind in den ersten Jahren über seinen Körper erlebt, ganz entscheidend für seine Persönlichkeit. Und die Persönlichkeit ist ganz entscheidend dafür, wie stabil das Kind nach einer Belastung ist. Das meint nicht nur sportliche Belastung, sondern Belastung in jeglicher Form." Nach der Klärung der biologischen Grundlagen der Körpererfahrungen kam der Begriff "body experience" ins Spiel, welcher sich in zwei Bausteine aufteilen lässt: Körperschema und Körperbild. Das Körperschema stellt die innere Koordination der Körpererfahrung dar, wie zum Beispiel das Abschätzen von Distanzen und die biologischen Kenntnisse über den eigenen Körper (Gelenke, Muskeln, etc.). Das Körperbild wiederum bewegt sich auf psychologischer Ebene und beschreibt somit die Gefühle eines Menschen, also "wie er sich selbst sieht". Dies umschließt beispielsweise die Wertigkeit des eigenen und fremden Körpers, das Bewusstsein über die Grenzen des eigenen Körpers und der Umgang mit den vorherrschenden Schönheitsidealen. Die theoretischen Konzepte über die beiden Bausteine wurden jeweils mit Beispielen aus der Leichtathletik verknüpft. Der Vortrag bestach dabei durch das dynamische Duo Bryxi/Bundschuh, welche mit ihrer humorvollen Art oftmals für Auflockerung beim Publikum sorgten.

Theorie und Praxis

Der Anspruch des Nikolaus-Lehrgangs reduzierte sich jedoch nicht nur auf die Theorie. Für einen anschließenden praktischen Block lud der WLV Tamas Kiss ein. Der seit 1979 als Trainer aktive Ungar gilt als absoluter Experte für Sprungdisziplinen und betreut die erfolgreichste deutsche Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch. Jungfleisch, die dieses Jahr zum fünften Mal hintereinander die Deutsche Meisterschaft im Hochsprung für sich entscheiden konnte, war ebenfalls anwesend und führte gemeinsam mit einer Auswahl der U 18 des WLV Beispiele aus dem Grundlagentraining "Sprünge machen "stark" vor. Der Fokus lag dabei auf den Bereichen "Stabilisation" und "Sprungelemente". Kiss nahm sich die Zeit, seine Motive für die Auswahl der einzelnen Übungen zu erläutern und auf die Körperhaltung sowie spezifische Fehlertypen bei deren Ausführung einzugehen. Außerdem ließ er sportbiologische Erkenntnisse in seine Begründungen einfließen und betonte jederzeit die Wichtigkeit der einzelnen Belastungspunkte. Durch seine sachliche, analysierende Art wurde klar, dass er aus jedem Sportler das Beste herausholen will. Auch Marie-Laurence Jungfleisch, die letztes Jahr in Eberstadt erstmals die Zwei-Meter-Marke übersprang, lobt ihren Trainer in höchsten Tönen: "Ich bin seit 2010 bei ihm und wir haben ein sehr enges Verhältnis. Wir haben ein großes Vertrauen zueinander und das hilft, um solche Höchstleistungen zu erreichen." Die 27-Jährige, die bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro den siebten Platz erreichte, fokussiert sich momentan auf die kommenden Wettkämpfe. Auf die Frage nach den Zielen für das nächste Jahr antwortete sie: "Bei der EM in Berlin will ich auf jeden Fall starten und auch ganz vorne dabei sein."

Im Anschluss hielt Jutta Bryxi eine Laudatio auf Rene Stauß, der seine aktive Karriere in diesem Jahr beendete. Der ehemalige Zehnkämpfer, der im Wettkampf über 8000 Punkte erreichen konnte, wurde für die Arbeit an seinen Projekten "Kinderleicht-Athletik VOR ORT" und "WLV KidsTRACK", mit denen er Kinder an Grund- und weiterbildenden Schulen begeistern kann, ausgezeichnet. Daraufhin stellte Stauß in einem Praxisworkshop ein neues Trainingsmedium vor: Bei den sogenannten "Stapelsteinen" handelt es sich um einen robusten und abriebfesten Gegenstand, der aus Hartschaum besteht und trotz seines Gewichts von nur 180 g eine Belastung von bis zu 90 kg aushalten soll. Gemeinsam mit den 21 Kindern der U 10 und U 12 des Ostalbteams führte Stauß in Zusammenarbeit mit Maximiliane Hegemann die sportlichen Einsatzmöglichkeiten der Stapelsteine vor, beispielsweise durch das Bilden und nachfolgende Erklimmen einer Pyramide, um sowohl räumliches Denken als auch Koordination zu fördern.

In einer anschließenden Praxiseinheit mit dem Speerwerfer Patrick Hess standen Koordinationsübungen mit wenig Material im Mittelpunkt, die ihren Abschluss in einem Gleichgewichtsparcours fanden. Zum Ausklang des Tages durften die neugierigen Übungsleiter/innen selbst aktiv werden und sich am sogenannten "Rola Bola" und an den von den Kindern geliebten Waveboards versuchen.

Der Nikolaus-Lehrgang 2017, der die Themen um die Schlagworte "Kind-Körper-Koordination-Können" beleuchtete, konnte die aus Orten wie Esslingen, Wangen und Winnenden angereisten Teilnehmer/innen vollauf begeistern. Sie erlebten im Beobachten und im eigenen Tun die neuen Konzeptionen des Leichtathletiktrainings. "Es macht immer wieder Spaß hier. Es lohnt sich immer, denn die Referenten sind zum Großteil sehr gut, man kann viel für die praktische Trainingsarbeit mitnehmen und sich gegenseitig austauschen", resümiert Dietmar Engel, Sportlicher Leiter des Leichtathletikteams Schurwald und ergänzt: "Es gibt wenig Lehrgänge, die ein so umfassendes Programm haben und aus denen man so viel für sich mitnehmen kann."

Eberle bekommt Goldene Ehrennadel des WLSB

Zum Auftakt des Nikolauslehrgangs wurde Leiter Fred Eberle, bereits vielfach mit sportlichen Auszeichnungen dekoriert, ein weiteres Mal geehrt: mit der Goldenen Ehrennadel des WLSB für langjähriges Engagement. Der Sportkreisvorsitzende und WLSB-Vizepräsident Manfred Pawlita überbrachte die Ehrennadel. Pawlita ging in seiner Laudatio für Fred Eberle kurz auf die vielen zum Teil über Jahrzehnte ausgeübten ehrenamtlichen Tätigkeiten von der Basis bis zur höchsten Bundesebene ein. "Wichtiger bei Fred Eberle ist, dass seine besonderen Fähigkeiten, sein kompetentes und weit überdurchschnittliches Engagement, allseits hoch geachtet und respektiert wird" so Pawlita.

"Botschafter des Sports"

Das pädagogische Gewissen der Leichtathletik" - so hat ihn einmal Ex-DLV Präsident Clemens Prokoph genannt. Und Pawlita sprach von einem "erfolgreichen Botschafter des Sports". Pawlita sagte abschließend: "Die Leichtathletik wäre nicht so gut wie sie ist, gäbe es nicht Fred Eberle."